WirtschaftsBlatt | 29.01.2007|
Alexandr Vondra, von vielen seiner Landsleuten kurz „Sascha“ genannt, wurde 1961 geboren. Er war Dissident und unterzeichnete den Aufruf „Charta 77“. Sie bezeichnet sowohl eine im Januar 1977 veröffentlichte Petition gegen die Menschenrechtsverletzungen des kommunistischen Regimes in der damaligen Tschechoslowakei als auch die mit ihr verbundene Bürgerrechtsbewegung.
Diese wurde in den 70er und 80er Jahren zum Zentrum der Opposition.
Vondra war einer der letzten Sprecher der Charta 77 vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. 1997 wurde Vondra, der in Prag Geografie studiert hatte, als tschechischer Botschafter nach Washington entsandt. Vondra diente insgesamt drei Aussenministern als Stellvertreter, bevor er selbst ans Ruder durfte: In der ersten – sehr kurzlebigen – Regierung von Premier Mirek Topolanek, der der konservativen Demokratischen Bürgerpartei
(ODS) angehört, fungierte er als Aussenminister. Im zweiten Kabinett Topolaneks, das nach langem Tauziehen am 9. Jänner dieses Jahres von Präsident Vaclav Klaus ernannt wurde, avancierte er zum ¬Vizepremier für Europafragen.
„Unser Motto wird lauten: Europa ohne Barrieren“
Alexandr Vondra, Tschechiens Vize-Premier für Europafragen, fordert, dass die vier Grundfreiheiten der EU für ihre neuen Bürger so rasch wie möglich Realität werden.
• Herr Vondra, Sie sind für Ihre Landsleute jahrelang der Herr Amerika gewesen. Nun wurden Sie zum Herrn Europa…
Alexandr Vondra:
Ich musste ja einmal das Image des CIA-Agenten loswerden.
Nun werde ich also der Herr Europa sein.
• Was sind die Prioriäten der tschechischen EU-Politik?
Alexandr Vondra:
Erstens wollen wir uns gut auf die EU-Präsidentschaft vorbereiten, die wir 2009 übernehmen werden. Zweitens wollen wir uns so in die Debatte über die Reform der EU einbringen, dass sie für Europa vorteilhaft wird und im Einklang mit unseren Interessen steht. Derzeit ist die Situation schwierig. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, die für manche Länder nicht ganz annehmbar sind.
• Sie sprechen die EU-Verfassung an. Wie ist die Position Tschechiens? Soll der alte Vertrag die Basis für die Debatte bilden oder würden Sie lieber ein neues Dokument sehen?
Alexandr Vondra:
Die Ergebnisse der Referenden in den Niederlanden und in Frankreich haben gezeigt, dass das vorliegende Dokument nicht gut ist. Es ist meiner Meinung nach auch nicht optimal, mit der Schere zu arbeiten und einzelne Teile herauszuschneiden. Der Vertrag war ja als eine Gesamtheit konzipiert.
Aus meiner Sicht wäre es das Beste, einen neuen Text vorzulegen, den die Menschen verstehen. Er sollte auch die Mängel beseitigen, die das bestehende Dokument hat, wie die unklare Kompetenzaufteilung.
• Gibt es weitere Prioritäten?
Alexandr Vondra:
Ja, Energiesicherheit. Das ist ein Thema, das für uns sehr wichtig ist. Wir sollten eine gemeinsame Vorgehensweise suchen, denn wir sitzen alle im selben Boot. Wir leiden unter einem Mangel an Energiequellen.
Zugleich sind wir starke Verbraucher. Wenn wir gemeinsam agieren, sind wir stärker.
• Wie geht es mit dem Thema Landwirtschaft weiter?
Alexandr Vondra:
In drei, vier Jahren kommt eine langwierige Debatte über das EU-Budget und die gemeinsame Agrarpolitik auf uns zu. Die wichtige Frage bei der Reform ist, ob wir eine Einigung mit Polen finden.
• Was sind Ihre sonstigen Anliegen an die EU?
Alexandr Vondra:
Wir wünschen uns sehr, dass die vier Grundfreiheiten der EU so schnell wie möglich verwirklicht werden. Um die Erwartungen der Menschen nicht zu enttäuschen, muss es tatsächlich einen freien Verkehr von Personen, Waren, Kapital und Dienstleistungen geben.
• Aber die tschechische Republik hat ja auch Ausnahmebestimmungen.
Etwa beim Erwerb von Grund und Boden.
Alexandr Vondra:
Schauen Sie, Ausnahmen gibt es weniger auf unserer als auf der anderen Seite. Und es geht ja nicht nur um uns. Das Motto unserer EU-Präsidentschaft wird sein „Europa ohne Barrieren“. Ich glaube, dass das viel aussagt.
• Wird unter tschechischem Vorsitz auch die Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der EU eine wichtige Rolle spielen?
Alexandr Vondra:
Sicher. Wir sehen es als wichtiges Ziel, die Balkanländer in die EU aufzunehmen.
• Was ist mit der Ukraine?
Alexandr Vondra:
Die Ukraine ist ein Schlüsselland, gleich wie die Türkei. Selbstverständlich ist die Frage offen, wann die zwei Staaten reif für einen EU-Beitritt sein werden. Es wird sicher weder morgen noch übermorgen sein. Wir dürfen der Ukraine und der Türkei aber nicht den Rücken zukehren.
Für Europa sind beide sehr wichtige Länder.
Das Interview führte Aureliusz M. Pedziwol